Vorüberlegungen
Ohne sich jemals tatsächlich tiefgründig mit der Wirkung von radioaktiver Strahlung auf den menschlichen Organismus beschäftigt zu haben, beschleicht auch uns als absolute Laien zu diesem Thema bei dem Namen Hiroshima ein seltsames Gefühl – vielleicht nicht Angst, aber eine gehörige Portion Unbehaglichkeit. Nun stehen wir mit unserem mobilen Heim auf Rädern kurz „vor den Toren“ Hiroshimas und ich habe das dringende Bedürfnis zu googeln. Ich will wissen, wieviel der Strahlung von damals heute noch in den Straßen messbar ist, wie schädlich dies bei einem Aufenthalt sein kann, wie lange es überhaupt empfohlen wird, sich an einem solchen Schauplatz aufzuhalten und ob man ein 5-jähriges Kind dieser unsichtbaren Gefahr aussetzen sollte. Die Halbwertzeiten sind doch eigentlich schockierend lang. Wie kann es dann sein, dass Hiroshima heute wieder eine Millionen-Stadt ist, Eltern ihre Kinder früh zur Kita oder in die Schule bringen, Hunderttausende zur Arbeit strömen und der Alltag doch offensichtlich normal zu laufen scheint? Irgendwie schon komisch, hier nun eine Antwort zu suchen, hatten wir uns doch fest vorgenommen, Hiroshima auf jeden Fall einen Besuch abzustatten. Aber trotzdem, bevor wir in die Stadt fahren, hänge ich im Internet und will lesen.
Die Antwort fällt so kurz wie auch beruhigend aus:
Wer heute nach Hiroshima oder Nagasaki reist, setzt sich – gut 70 Jahre nach den Abwürfen – selbst keinen gesundheitlichen Gefahren mehr aus. Allerdings ist es wohl so, dass Menschen, die die Katastrophe 1945 überlebten, durchaus auch heute noch an Krebs erkranken. Anders als bei atomaren Unfällen wie beispielsweise Tschernobyl oder Fukushima, wurde wohl durch die zwei Bomben weitaus weniger radiokatives Material freigesetzt. Atombomben zerstören, wie wir gelesen haben, eher durch die enorme Energie- und Hitzefreisetzung. Aufgrund der verstrichenen Zeit, wetterbedingter Auswaschungen und den enormen Aufräumarbeiten ist ein Leben in diesen beiden Städten vergleichsweise zeitnah wieder möglich gewesen. Bei Reaktorunfällen sieht das wohl ganz anders aus.
Wir sind beruhigt und fahren in die Stadt…
Stille und Beklemmung
Wie so viele Besucher zieht es auch uns zu allererst in den Friedenspark. Es herrscht eine unerwartet angenehme Ruhe. Im Minutentakt legen Menschen am Cenotaph for A-bomb victims Blumen nieder, knien oder verbeugen sich.
Wir erreichen den Motoyasu River und sehen schon von Weitem die Ruine des Atomdoms am Ufer. Sie sticht heraus wie etwas, das so gar nicht ins Stadtbild passt, wie ein Relikt aus einer sehr sehr dunklen Vergangenheit. Als fast einziges Gebäude blieb der damalige Bau der Industrie- und Handelskammer inmitten einer dem Erdboden gleich gemachten Mondlandschaft stehen. Die Bombe „Little Boy“, abgeworfen vom Bomber „Enola Gay“, war in knapp 600m fast direkt darüber detoniert.
Komisch, sich vorzustellen, was hier vor 74 Jahren passiert ist, wieviele Menschen schlagartig ihr Leben verloren haben und wie viel Krankheit, Langzeitschäden und Leid diese Entscheidung mit sich gebracht hat.
Das Museum zum Atombombenabwurf und das Kinderdenkmal besuchen wir nicht. Zu schwierig sind bereits die Fragen unserer Tochter zur Ruine inmitten dieser schönen Stadt. Wir versuchen ihr kindgerecht zu erklären, was eigentlich nicht zu erklären ist und sitzen am Ufer des Motoyasu River bis die Nacht hereinbricht. Sophie spielt unten am Wasser, wo an jedem 06. August des Jahres – dem Rememberance Day – Überlebende, Angehörigen der Opfer und viele Einwohner Hiroshimas tausende Kerzen im Wasser schwimmen lassen.
Der Atomdom wird auch nachts angestrahlt. Im Dunkeln wirkt er noch beängstigender. Wie eine dunkle Kulisse aus einem Endzeitzenario, erschreckend und warnend zugleich.
Erstaunlich schön
Und dann ist da das „Hiroshima danach“, das heutige, schöne Hiroshima – jung, modern und gemütlich. Flüsse durchziehen das Stadtzentrum, Straßenbahnen schwenken durch die Straßen. Das Wasser ist so sauber, dass die Austernzucht möglich ist. Viele kleine Brücken, Restaurants und Läden geben dem Stadtbild einen ungemein einladenden Charakter. Beim Wiederaufbau der Stadt wurde über die vielen Jahre sehr viel Wert auf Lebensqualität gelegt und das sieht und spürt man auch in den Straßen.
Wir sind ziemlich begeistert, wie aus so viel Unheil eine so hübsche Stadt wachsen konnte, die sich für uns deutlich vom sonstigen „Einheitsbrei“ der japanischen Städtebauweise abhebt.
Hiroshima: Unbedingt eine Reise wert!
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